THE FLYING EYES - The flying eyes



(CD, USA, World in Sound, 2009, 42.23)
Part A: Bad blood
01. Lay with me
02. Better things
03. Bad blood
04. Don't point your god at me
05. She comes to me

Part B: Winter
06. We are not alive
07. Red sheets
08. Around the bend
09. Winter
10. King of nowhere

Ich bin manchmal eher abgetörnt von den aktuellen musikalischen Entwicklungen. Das, was ich gerne höre, ist zuweilen bis zu 50 Jahre alt, die modernen, von digitaler Totproduktion und ätzenden, abgehackten, gefühllos und unkreativ gespielten "modernen" Krachgitarren, bis zu einer ganzen Oktave tiefer gestimmt, beherrschte Rockmusiksparten begeistern mich kaum bis noch viel weniger und wenn dann mal eine Retroband auftaucht, so ist oft die Vorlage wirklich geil, die durchgepauschte Kopie hingegen nur ein müdes Lächeln wert. Wenn überhaupt. Wirklich geil hingegen waren einige neuere Acts aber doch, vor ein paar Jahren ORANGE SUNSHINE aus Holland, die als Fuzzgitarrenpowertrio den alten BLUE CHEER (die damals durchaus noch aktiv gewesen sind) und anderen Helden wie CREAM und MOUNTAIN Konkurrenz zu machen drohten. Zuletzt waren es die Amis ASTRA mit ihrem Heavyprog a la KING CRIMSON und die acidbluesigen Heavyrocker DE WOLFF aus Holland, die mich wirklich zu packen wussten. Heuer sind dann nun THE FLYING EYES, Psychedelicrocker aus den USA dran, genauer aus Baltimore in Maryland. Bekannt ist der Bundesstaat für eine gesunde Doomszene, zu der u.a. EARTHRIDE, REVELATION, AGAINST NATURE, IRON MAN und LIFE BEYOND zählen oder zählten. Aber Psychedelicrock? Nun, wir dürfen gespannt sein. Auf der vorliegenden CD sind beide EPs der Band vereint worden, die "Bad blood" und die "Winter", jeweils einen Teil ergebend, der wiederum aus fünf Songs besteht. Fangen wir also mit dem "Bad blood" Teil an, lassen uns vom lässigen Bluescountryrock "Lay with me" einstimmen. Nicht durchgehend countrybluesrockig bleibt es, denn irgendwann setzen verzerrte, brodelnde Gitarren ein und sogar ein dahinschwebender melancholischer Psychedelicpart wird hier aufgefahren. Großes Kino. Aber was einen wirklich an die Pforten der Wahrnehmung und hindurch trägt, ist die Stimme des Sängers, die ein volles, warmes Timbre besitzt, etwas rau und dreckig kommt, in mittleren Lagen daheim ist und da eher die tieferen Gegenden bevorzugt, hervorragend zum "White Boy Blues" passt und einen mit ihrer hypnotischen Art betört, ja direkt aus dem Totenreich zu uns zu sprechen scheint, denn so singt doch nur einer, der Poet und Rauschmagier aus Venice Beach, Jim Morrison persönlich. Dagegen wirken die Songs der EP an sich ja noch recht konventionell, haben aber Charme und sind tatsächlich gut komponiert, locker strukturiert, mit Leidenschaft und Lust auf Sex, Liebe und Leben zelebriert und inbrünstig heruntergezockt. So auch der fetzigere Rocker "Better things", der unvermittelt abbricht und dem bluesigen Titelstück platz macht, welches zum Ende hin in ein melancholisches Psychedelicstück umschlägt. Treibender Bluesrock ist dann "Don't point your god at me", mit seiner grandiosen Farfisaorgel und den jaulenden, brodelnden Leadgitarrenklängen, die oft eine beschwörende Stimmung in ihrer innigen Vereinigung herbeirufen. Dieses Stück hätte gut zu "The Doors" (1967) oder dem finalen Meisterwerk "LA Woman" gepasst, wohl eher noch zum 71er "LA Woman", da 1967 noch nicht so sehr mit Sägegitarren experimentiert wurde, oder? Nun, egal, grandios, gigantisch, beschwörend, magisch, purer Sex für die Sinne. Ich sehe eine Legion von Acidrockern, die zu dieser Musik gezeugt wurde. Ob THE FLYING EYES Drogen nehmen, ist mir jetzt nicht bewusst, aber ihr Spiel klingt sehr entspannt und auf gewisse Weise davongeflogen, kann dennoch ekstatische Ausmasse annehmen und läuft stets abseits von allem Mainstreamgetue. Hier wird die Musik gelebt wie gespielt. Ein letztes schönes Highlight des "Bad blood" Abschnittes der CD ist "She comes to me", eine wundervolle Acidballade, deren Gitarrenmelodie ein wenig wie aus der Bahn geratener Folkrock klingt und Assoziationen an die BEATLES weckt, "Norwegian wood", you know? Dann aber kommen DOORS und LED ZEPPELIN in tiefster, friedvoller Stimmung zusammen und rauchen zusammen den großen Friedensjoint, der die britische und amerikanisch westküstliche Rockmusik für immer vereint. Eine eindringlichere Musik hab ich selten gehört, auch nicht von den Originalen der 60er. Das Cello in der zweiten Strophe vertieft den emotionalen Ausdruck des Stückes noch so sehr, dass ich meine Tränen der Rührung kaum zurückhalten kann und dahinschwelge, mich in bunten Welten verlieren und diese triste, kaltgraue Realität nie wieder betreten möchte. "When she comes...she comes for me...", aaah, ein einzigartiger Traum. Und so bauscht sich der Song dann auch mal kurz im Schlagzeugbereich auf, wird wild, explodiert beinahe, nur um wieder zurückzufallen auf eine Orgelpassage mit bezaubernder Melodie, bei der es einige rückwärts laufende Orgeleinlagen gibt. Wow, nun hinterlässt es mich beinahe gebrochen, da treibt ein fetter Hardrock drauflos und ich werde vom unwiderstehlichen Groove mitgerissen. "We are not alive" ist der Titel, nun, wetten möchte ich nicht darauf. Eine eruptive Mischung aus fetzender Gitarre und kräftiger Orgel bildet die Grundriffs, wobei in der Strophe Gesang und Rhythmuscrew das Sagen haben. Das Feeling ist so urtypisch 69, 70, 71. Gar nicht "retro", sondern authentisch. Der schwebende Psychedelicpart in der Songmitte hat was für sich, ebenso wieder mystische Freakout mit brodelnden Klampfen und wildem Drumming, dann der furiose Ausbruch mit krachenden Orgeln und Äxten und der abrupte Schluss. Bluesig und rockend geht es wieder zurück in die Mitte der 60er zu "Red sheets", wo die DOORS tatsächlich noch die DOORS OF PERCEPTION gewesen sind. Die Hardrockeinlagen passen aber nicht zur Zeit, klingen eher nach 1971 oder 72. THE FLYING EYES springen geschickt zwischen den Jahren und auch wenn von 1965 bis 1972 nur sieben solcher Jahre vergangen sind, so war die Entwicklung in der Musik doch so gewaltig, wie sie später nie mehr sein sollte. Ein jammiger Leadgitarrenausbruch mit verzerrtem Bass spricht von moderner Aufnahme, denn diese Art mit einem Song die Seele des Zuhörers weichzukochen, ist bereits vor vierzig Jahren vollends perfektioniert worden. Eigentlich kann ich jetzt schon nicht mehr, aber "Around the bend" bringt mich wieder runter, hier wird wiederum ruhiger, mit effektüberladen wabernden Gitarren, Folkrockfeeling und Sonnenschein im Gemüt geboten, ganz entspannt und wunderschön. Mein Kaffee ist alle, merke ich gerade und es macht mir nichts aus, gefangen in der dämmerigen Strophe des Stückes und wieder ausgespuckt, hinaus auf die Straße zum Weiterziehen im lockeren Refrain. Die Strophe spricht von Lagerfeuer, Kuscheln und mehr mit fremden, aber besonders schönen Mädchen, einem Joint hier, etwas Meskalin da. Und man schwebt dahin über die weiten Wege, vorbei an allem, was die Zeit so vergessen hat dastehen lassen. Mit etwas Gitarrenfeedback setzt das Titelstück ein. Lockerer Boogie, erdiger Bluesrock und geheimnisvolle Psychedelik treffen auf einander, paaren sich auf einem Fundament aus sexy Rhythmen und geben einen lässigen Groover ab, der einen weiteren Hit im Fundus der Band darstellt. Ich fasse es nicht, wie hinreißend und bewegend diese Mucke ist. Man könnte sich über Stunden diese CD reinziehen, sich in Trance tanzen und immer wieder neue Grenzen der Wahrnehmung überschreiten. Nur wenige Alben, auch bei den Originalen der 60er, hatten solch eine gigantische Wirkung. "Tje Doors" von 1967, das Debüt der kalifornischen Helden war ein solches. Irgendwann ist man in "Winter" dann bei einem eher dem Prog zuzurechnenden, ruhig dahinfließenden Part angekommen, der in einen treibenden, bis in die pure Ekstase hineingehenden Part mündet, über dem irrwitzig soliert wird, dann stampfend wie bei Tänzen der amerikanischen Ureinwohner mit Acidrockbekleidung die Sinne betört und in die Unendlichkeit entgleitet. Ruhig, auf gewisse Weise fröhlich und doch nachdenklich kommt der "King of nowhere" dahergeschlendert. Das ist ausnahmsweise mal nicht so DOORS lastig, ich kann aber nicht sagen, woran es mich erinnert. US Psychedelic Singer Songwriter der späten 60er, ja. Vielleicht VELVET UNDERGROUND? Vielleicht Neil Young, vielleicht beides zusammen? Vielleicht an die fragile Bekifftheit mit verstimmten Gitarren, die MONSTER MAGNET Anfang der 90er zelebriert haben? Oder an 80er Alternapsyche wie SEBADOH? Nun, die Helden der 80er und 90er haben sich eben an den gleichen Wurzeln orientiert wie nun THE FLYING EYES. Das sachte, zerbrechliche und so himmlische Glockenspiel mit ganz sanfter Gitarre am Songende ist noch einmal eine gigantische, wenngleich zauberhaft sinnliche Erfahrung, dann kommt das Ende. Eine kurze Note noch und es ist vorbei. Und ich, meine Damen und Herren, ich bin spirituell ausgebrannt, nurmehr ein Häufchen Asche, aus dem mein Geist wie der mystische Vogel Phoenix neu geboren wird. Hallelujah! Dies ist mehr als nur eine CD, dies ist eine spirituelle Erfahrung.

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