VERGANGENE GROSSTATEN: GURU GURU - Wiesbaden 1972


(D, 1972/2006, Garden of Delights, 74 min)
01. Oxymoron
02. Baby cake walk
03. Ooga booga
GURU GURU gehören zu den Urvätern des Krautrock, haben das Jammen von bis zu 30 minütigen Stücken Kultiviert und während ihrer Triophase bis Mitte der 70er den einen oder anderen Klassiker geschaffen. Auf dem vorliegenden Album, welches am 04.11.1972 von einem Freund der Band aus der XHOL CARAVAN Kommune mittels modernster Aufnahmetechnik (für Konzerte der damaligen Zeit) mitgeschnitten wurde, ist das erste Mal ein neuer Bassist zu hören, Bruno Schaab, ehemals bei den Protometallern NIGHT SUN (Album "Mournin", 1971), der Uli Trepte nicht nur ersetzen, sondern die durch seinen Abgang entstandene Lücke adäquat füllen sollte. Drei Stücke enthält dieses erst vor ein paar Jahren regulär vom Garden of Delights (http://www.diregarden.com/) Label veröffentlichte Album, drei Stücke, von denen keines unter zwanzig Minuten liegt. Auf dem Opener "Oxymoron" jammen sich GURU GURU bereits in einen Rausch. Viele der rockigen Improvisationen sind deutlich vom Blues beeinflusst, werden aber abstrahiert, psychedelisiert und verjazzt (Schlagzeuger Mani Neumeier und Uli Trepte waren in den 60ern beim IRENE SCHWEIZER TRIO und haben reinen Jazz gezockt), verlieren aber niemals ihre rockige Power. Gitarrist Ax Genrich (später HIGHDELBERG und solo unterwegs) zaubert fließende Notenformationen, die sich von dunklen, aber noch ruhigen Psychedelicläufen über typischen Bluesrock hin zu wilden jazzigen Frickeleien entwickeln, diesen Weg dann aber auch wieder retourgehen. Eindringliche Melodien kommen dabei immer wieder zum Vorschein, die sich dem Hörer geradezu aufdrängen, während jener allerdings schon halb benommen von den hypnotischen Rhythmen den Phreakouts des Herrn Genrich lauscht. Man kann eigentlich nie sagen, welcher Ton und welche Note hier verunfallt wären, da alles logisch auf einander aufbaut. Mani Neumeier muss hingegen bereits vier Arme besitzen, denn gerade in den sanfteren Passagen hört man vom Schlagzeug unheimlich viele kleine Figürchen, Wirbel auf den Becken und den Toms. In den konventionelleren Momenten groovt der gute Mann, damals auch schon 32 Jahre alt, mit der Power eines 500 PS Diesels. GURU GURU können fantastisch heavy werden. Ax Genrich entlockt seiner Klampfe oftmals nahezu widersinnige Laute, experimentiert mit allerlei Effekten und genau das gibt die Stimmung der damaligen Musik, gerade der Rockmusik ganz wunderbar wieder. Freiheit! Gesungen wird hier eher wenig bis selten, Genrich und Neumeier teilen sich die Stimmeinlagen, die etwas schluderig wirken. Ihre Stärke war eindeutig das jammige Zusammenspiel. Dieses Livedokument ist quasi der Abschied von den kantig - rauen Krautzeiten, ein letzter, umso gigantischerer Gruß an den absoluten Underground. Bleiben sollten sie freilich dort, nur halt mit etwas geschmeidigerem Songwriting, was in kommerzielleren, nichts desto trotz kultigen Stücken wie "Der Elektrolurch" gipfelte. Dieser Song wurde auch auf dem Konzert gespielt, welches man hier mitschnitt, konnte leider nicht ganz aufgenommen werden, da die Kassette zuende war und hätte wohl eh dafür gesorgt, dass aus diesem Album eine Doppel CD würde. Nun, nach der ersten Viertelstunde GURU GURU Live in Wiesbaden ist man hinübergeglitten in eine andere, farbenfrohere Welt. Da können auch die immer wieder eingestreuten erdigen, fetzigen Rock'n'Roll -, Boogie - und R&B Riffmassaker niemanden mehr zurückholen. Der zweite Track "Baby Cake Walk" wird mit fetzig groovendem Heavyrock eröffnet, der selbst Meister Hendrix umgeworfen hätte. Klasse Hardrockriffs mit Charakter knallen dem Hörer nur so um die Ohren, Schaab begleitet Genrichs Melodien mit wuchtigem Donnern, während Neumeier komplett zu explodieren scheint. Auch Ax Genrich hat längst die Kontrolle über seine Gitarre an eine dritte, nicht greifbare, unaussprechliche Macht abgegeben. Es brodelt und dampft, es poltert und tost. Hier ist ein wenig mehr Gesang zu hören. Leute wie Toni Iommi währen übrigens Stolz, hätten sie solche brachialen Akkordwalzen komponiert, wie Ax Genrich sie hier locker aus dem Ärmel schüttelt. Doch nicht nur sägendes Geschrubbe, sondern auch coole, groovige Riffs verlassen seinen Amp und herrliche Melodien von höchster Intensität. Man spielt hier übrigens fast das komplette "Känguruh" Album von 1972 durch, nur in erweiterten Fassungen, denen ein Song, "Immer lustig", weichen mußte. Egal...dieser Wahnsinn ist sogar den Verzicht auf das vierte Stück wert. Im Mittelteil des "Baby Cake Walk" Songs wird die Band spacig, hypnotisch und experimentell. Die Gitarren werden mit allerlei Echoeffekten zu einer wabernden, zitternden Klangwand aufgebaut, die jederzeit über Dir zusammenbrechen kann, Deine Sinne komplett lahmlegt und urplötzlich wieder in massivsten Heavyrock mündet, der so manche dunkle, stimmungsvolle Melodie offenbart. Aber so bedrohlich wie es scheint ist das ganze nicht. GURU GURU lassen die Musik und auch den emotionalen Gehalt fließen. Die Mischung aus Wahwah, Fuzzbox und Echo gibt gerade den zurückhaltenderen Momenten hier eine extrem tiefe Atmosphäre, bringt einem Bilder von denkenden Maschinen vor Augen, gerade wenn Schlagzeug, Bass und Gitarre den Songkontext komplett verlassen und nurmehr Geräusche von sich geben. Es ist verrückt, aber diese Mischung aus Rock, Experiment, Jazz und Psychedelic bleibt zu jeder Sekunde spannend. Der Sound ist übrigens absolut professionell, die Livesituation gibt der Musik umso mehr Raum. Digitalklangfetischisten werden sich trotzdem an der Lebendigkeit und Natürlichkeit stören, werden den Fluss der Magie nicht verstehen, diese Leidenschaft nicht spüren, die damals Publikum und Musiker vereint hat, aber für solche Mainstreamsklaven ist die vorliegende CD nicht gemacht. Der dritte Track, "Ooga booga" beginnt mit einem peitschenden, mittelschnellen Stampfergroove, der fast an einen rituellen Tanz wilder Völker denken lässt, darüber spielt Herr Genrich spacige Soli. Er schwenkt um in eine sehr traditionell bluesige Passage, mit klackernden Percussions und akustischer Gitarre. Dieser Part trägt den bereits in Trance versunkenen Hörer in die Sümpfe Louisianas, wo er einem gemütlichen Beisammensein schwarzer Arbeiter nach Feierabend beiwohnt, ihren Liedern lauscht, mit denen sie ihre Erlebnisse verarbeiten. Aus jenem Abschnitt heraus entwickelt sich ein Percussionsolo eines in Ekstase geratenen Mani Neumeier, welches wiederum die Bilder vor den Augen des Hörers belebt und verändert. Man währt sich nun inmitten eines Voodoo Rituals, sieht den Priester, wie er das Blut aus dem offenen Halse eines geschlachteten Huhns versprüht, sieht die Tänzer, die sich spirituell bereits in einer anderen Welt befinden, hört die Trommeln, spürt das Erwachen der Götter, der Magie, die sich über dem flackernden Feuer in einer Art Leuchten manifestiert. Und dem noch nicht genug. GURU GURU kehren als rockende Band zurück, zuerst mit straightem Powerrock, bei dem sogar gesungen wird. Dann beginnt die Band wieder wie besessen zu jammen und steigert sich hinein in einen Strudel puren Wahnsinns. Irgendwann ist man nur noch gefangen, tanzt sich hingebungsvoll die Seele aus dem Leib und fiebert mit. Ja, diese Musik hört man nicht nur, man erlebt sie. Und das grenzt GURU GURU vom vorherrschenden Mainstream ab, denn die tumben Popkonsumenten besitzen nicht die spirituelle Kraft, sich so weit zu öffnen, dass sie diesen Sound verstünden. Auch wenn GURU GURU hier eher für eine Clique von Auserwählten zu musizieren scheinen, so ist ihre Musik bodenständig, steckt voller Leben, Ehrlichkeit, wirkt sympathisch und ganz und gar nicht aufgesetzt elitär, wie oftmals im Progressivbereich der Fall. Mal sehen, was die Stonerrock Kinder dazu sagen würden. Das Album ist beim kultigen GARDEN OF DELIGHTS Label erschienen. http://www.diregarden.com/ Schaut mal auf deren Seite, es lohnt sich. 9,5/10

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