Abacus - Abacus (Polydor, 1971, BRD)


(LP / CD, 7 Songs, 39.24 min.)
01. Pipe dream revisited Part 1 & 2
02. Capuccino
03. Don't beat so on the horses
04. Song for Brunhilde
05. Song for John & Yoko
06. Radbod blues
07. Chestholder
Deutscher Progressiverock war 1971 nichts ungewöhnliches mehr, ich denke an die Hamburger IKARUS oder an die Süddeutschen ANDROMEDA (schon von 1970), ABACUS reihten sich da nahtlos ein. Natürlich orientierte sich die Mannschaft an der Musik, die aus England rüberschwappte, war im eigentlichen Sinne also nur geographisch dem Krautrock zuzuordnen, nicht aber stilistisch. Nun, das bedeutete aber auch, daß ABACUS verdammt exakt aufzuspielen wußten, daß sie wild und ungestüm und doch kontrolliert ihre verspielten Songs aus den Boxen bliesen. Orgel, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang, zuweilen statt der Orgel ein Piano, keine Synthesizer, eine Besetzungsliste, die trotzdem viel versprach und durchweg auch alles einhielt. Der erste Song, die "Pipe dream revisited" Suite mit über neun Minuten Länge, baut sich langsam auf, marschiert von jazzig angehauchten Pianokaskaden über typische, zum Teil aggressivere und düstere Orgelprogpassagen hin zu folkigen Gesangslinien über zurückhaltenderer Instrumentierung. Eindringlich, einprägsam, sehr interessant aufgebaut. "Cappuccino" ist nicht nur mein Lieblingsheißgetränk, sondern auch ein sehr wuchtiger Orgelrocksong typisch britischer Prägung. Ich höre ELP, THE NICE, eventuell auch CARAVAN, aber vorrangig die großen Progdinosaurier. ABACUS verpacken diese offensichtlichen Einflüsse jedoch geschickt, klauen nicht direkt, sondern zeigen sich als gelehrige Schüler der Briten, die kaum älter als ABACUS sein dürften. "Don't beat so on the horses" ist etwas gesetzterer Progressiverock mit treibenden Orgeln, verspielten, aber nicht zu deftigen Gitarren und poppigerer Melodie, der aber eine gedämpftere, nachdenkliche Stimmung entströmt. Schön gemacht, hat was von den KINKS der späten 60er auf Orgelprog. Puuh, Vergleiche, Vergleiche, naja, wer es denn braucht. Ein schöner Song auf alle Fälle. Akustische Gitarren und Sitarklänge, dazu verträumt - verliebter Gesang, das ist "Song for Brunhilde", ein wenig ins Gesamtbild passendes, aber deswegen umso genialeres Stück. Georgelt wird auch, obschon die Saiteninstrumente die Oberhand im psychedelischen Spiel behalten. Als hätte man sich rasch vier Jahre in der Zeit zurückbewegt und würde den Hippielebensstil hochleben lassen. "Song for John & Yoko" scheint eine Huldigung an den kreativen Kopf der EATLES und seine zweite Ehefrau zu sein. Musikalisch ist es zunächst eher zurückhaltender Prog mit heller, freundlicher Melodieführung, die auch einen leicht folkloristischen Ausdruck innehält, bis dann ein flotter Galoppelbeat einsetzt und einen straighten, angefolkten Rocksong auf den Weg schickt, dessen Text mir eher als kritische Auseinandersetzung mit dem BEATLES Chef vorkommt. Die Nummer ist so beschwingt und auf natürliche Weise fröhlich, daß man automatisch mitgerissen wird. Mit anderen lyrischen Ergüssen hätte das hier glatt eine geniale Schlachthymne nordirischer Protestrocker sein können. Die Gesangsmelodie ist hier das Rückgrat, die Instrumentierung nur solide Basis dafür. "Radbod blues" rockt dann hiernach etwas härter und wuchtiger drauflos, groovt unwiderstehlich, während die Gitarre mit Wahwaheffekten nicht spart. Der Gesang ist ebenfalls verfremdet. Zwischen dem groovenden Hardrock kommen schräge, komplett irrwitzige Frickelparts, die aber bei genauem Hinhören schon eine klare Struktur besitzen. Dann darf der Schlagzeuger zum Solo aufmucken und poltert frohen Mutes drauflos. Langweilig wird es nicht, da der gute Mann mit einem gewissen Maß an Besessenheit loslegt. Freakiger Prog / Jazzrock wird aufgefahren. Getrieben vom elektrischen Piano, verwinkelt, verdreht, frickelig und doch hochenergetisch und packend arrangiert. Sogleich geht die Band wieder zum wilden Hardrock zurück und treibt den Song seinem Ende zu, an dem ein Lachsack seine unverkennbare Stimme erklingen lässt. "Chestholder" ist zu Beginn sehr leichtfüssig, hat eine eher mediterrane Atmosphäre von Gelassenheit. Die akustischen Gitarren bleiben auch, nachdem Orgel, Bass und Schlagzeug einsetzen und ein wenig mehr Kraft in die Komposition bringen. Kurzzeitig baut das Schlagzeug etwas schrägere Beatkombinationen ein, ansonsten ist die Musik entspannt. Ein wieder folkigerer Part mit südländischem Temperament und schrägen Geräuschen belegt folgt, hat eine sehr schwungvolle Art, die den Hörer unweigerlich mit sich zieht. Die Beats wirbeln ebenso wie die akustischen Gitarren, werden wilder, intensiver und ebenso wird der ganze Song immer irrsinniger. Welch ein gewagtes Ende für diese Scheibe. Für freunde britisch klingender Progrockmucke aus Deutschland eine lohnende Investition.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Friedhof - same

THE HAND OF DOOM - Poisonoise Reissue

Doc Rockit - Doc Rockit